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TELEMEDIZIN - MEHR ALS NUR EIN MODERNES SCHLAGWORT

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Fassung vom 14.8.2000

Interview mit Dr. Jan F. Kukleta, Spezialarzt FMH für Chirurgie

Als erste Privatklinik in der Schweiz verfügt die Klinik Im Park seit 1 ½ Jahren über eine eigene telemedizinische Einrichtung. Der Chirurg Dr. Jan F. Kukleta gehört europaweit zu den klinischen Erstanwendern einer zukunftsorientierter Technologie, deren klares Ziel die Verbesserung der Leistungsqualität im Gesundheitswesen ist. Er ist ausserdem als Mitglied der European Faculty am European Surgical Institute in Hamburg auch in der Aus- und Weiterbildung von Assistenz- und Fachärzten tätig. MITTELPUNKT sprach mit dem an den Kliniken Im Park und Hirslanden akkreditierten Belegarzt.

 

Mittelpunkt

Was ist eigentlich unter Telemedizin zu verstehen?

Dr. Kukleta

Telemedizin (TM) bedeutet „medizinisches" aus Distanz zu überbringen. Demnach würde aber schon ein gefaxter Patientenbericht eines Arztes an einen Anderen dieser Definition genügen. Dank der unpräziser Ausdruckweise gibt es auch zahlreiche Auslegungsvarianten. UnterTelemedizin verstehen wir heute eine zeitgleiche, interaktive Audio- und Videokommunikation mit medizinischem Inhalt zwischen zwei oder mehreren entsprechend ausgerüsteten Orten, vergleichbar mit einer Videokonferenz, wie sie in der Wirtschaft schon zum Alltag gehört.

Telemedizin verwendet modernste Technologie zum Transfer medizinisch relevanten Daten. (Einzelbilder, Krankengeschichten, Röntgenbilder, Videokonferenz, live Operationen, etc.). Der Datentransport findet über Telefonlinien, ISDN, Internet, Intranet oder Sateliten statt. Es kann sowohl rein „fall-orientiert" (Patient) als auch ausbildungsorientiert (Arzt) oder auch health provider (Kostenträger) orientiert sein. Es kann sowohl eine Beratung unter Ärzten oder Einholen einer zweiter Meinung bedeuten als auch die Lösung zur Überwindung von Distanz beim Erbringen von besonderen medizinischen Leistungen sein.

 

Mittelpunkt

Wie kommen Sie als Viszeralchirurge zu Telemedizin?

Mein Hauptinteresse gilt der Minimal invasiven Chirurgie (MIC), die in meinem Fach laparoskopische Chirurgie bezeichnet wird. Bei dieser Technik ist die Bildübertragung aus der Bauchhöhle auf ein Monitor die Grundvoraussetzung. Bei den offenen chirurgischen Eingriffen hingegen muss die Bildinformation zuerst relativ aufwendig beschaffen werden (Videotechniker, schwierige und kostspielige Aufnahmetechnik). Da in der laparoskopischen Chirurgie das Videobild sozusagen automatisch anfällt, eignet sich die MIC geradezu ideal für die telemedizinsche Anwendungen.

(Vollständigkeitshalber sei erwähnt, Das Telechirurgie – chirurgische Handlung über Distanz- zwar existiert, aber vorläufig über das experimentelle Stadium noch nicht hinausgewachsen ist).

 

 

Mittelpunkt

Was ist das Ziel der TM und was kann sie heute?

Die Wunschvorstellung der TM ist die Sicherung des Zuganges zu bestmöglichen medizinischen Leistungen für die gesamte Bevölkerung unabhängig von der geografischen Distanz zwischen Patient und dem Leistungszentrum.

Wie soll dies geschehen? Durch die Umschichtung und Reorganisation der zu Verfügung stehenden Mittel im Gesundheitswesen (Ausgleich des Stadt-Land-Gefälles), durch Produktivitätssteigerung wegen zeitsparendem Umgang mit Wissensvermittlung (Kongressreisen, Patiententransport, Patientendokumentation) durch Kosteneinsparung wegen effizienterem Zugang zu kompetenten Behandlungspartnern soll die Leistungsqualität des Gesunheitswesen gesteigert werden können.
Es sind schon zahlreiche Anwendungen bekannt und es werden täglich mehr. Konsultation auf Distanz, Diagnostik aus Entfernung, assistierte Chirurgie, Weiterbildung, Videokonferenzen und Training. (Pathologie, Kardiologie, Radiologie, Konsultationen in Gefängnissen, Dermatologie, usw.)
Die TM ist interaktiv und zeitgleich dort und da. Das Arbeitsfeld, das der laparoskopische Chirurg auf dem Bildschirm vor sich hat,kann praktisch auf jeden gewünschten Ort dieser Welt übertragen werden. Daraus ergibt sich ein besonderes Potential für Lehr- und Ausbildungszwecke oder auch zur Unterstützung des operierenden Arztes durch andere, nicht im Operationssaal anwesende Fachspezialisten, wenn notwendig.

 

 

Mittelpunkt

Wird die Telemedizin demnach vorwiegend in der Ausbildung eingesetzt?

Dr. Kukleta

Die Telemedizin im Allgemeinen wird vorläufig leider viel zu wenig genützt.
Im Bereich der chirurgischen Aus- und Weiterbildung erleben wir endlich die ersten Schritte.
In der Ausbildung angehender Spezialisten stellt die TM etwas fundamentales zur Verfügung: die Mehrung der praktischen Erfahrung in Form von 1:1 erlebten Standardeingriffen, Handhabung jeglicher alltäglichen Umstände , Verhalten bei Komplikationen, etc. Und das mit der Möglichkeit eines interaktiven Meinungsauatausches. (ohne am Ort des Geschehens anwesend zu sein)
Die Videoaufnahme eines Operationsverlaufs war bisher die ultimative Information im Lehrgang eines zu erlernenden Eingriffes. Gegenüber der live Operation hat sie jedoch zwei Nachteile: die Herstellung von professionellen ausbildungsorientierten Videos ist zeitaufwendig und teuer und es bleibt eine beschönigte Ein-Weg Kommunikation.

Die Chirurgie ist weder nur mit Videobändern oder durch telemedizinische Hilfe erlernbar, aber als Anschauungsunterricht für die laparoskopische Behandlung spezifischer Erkrankungen bietet die Telemedizin zweifellos viele Möglichkeiten.

 

Mittelpunkt

Wo setzen Sie die Telemedizin ein?

Seit April 1999 richten wir regelmässige Direktübertragungen aus dem Operationsaal Klinik Im Park Zürich nach Hamburg ins European Surgical Institute. Dort werden zahlreiche Kurse für Teilnehmer aus aller Welt angeboten und renomierte Workshops ausgetragen.
Bei besonderen Anlässen erlaubt die TM zugleich mit Kollegen aus Australien und USA über ein bestimmtes Thema zu diskutieren.
Hausintern nutzen wir die Direktübertragung vom OP in einen Vortragsaal zur Möglichkeit interaktiver Wissensvermittlung unter eingeladenen Schweizerkollegen (mit lokalem Meinungsaustausch).
Unsere medizinisch High-Tech orientierte Gemeinschaft „laparoskopie.ch" ist aktiv bemüht der Ausbreitung der telemedizinischen Anwendungen Hilfe zu leisten. Erst wenn viele mitmachen, wird es realistisch z.B. die Kompetenzzentren ohne Zeitverlust um Rat oder eine Zweitmeinung zu konsultieren.
Der Entwicklungsprozess läuft in Europa offensichtlich paralell, obwohl einige Länder doch wesentlich früher wach wurden als wir. Um so erfreulicher, dass wir in den nächsten Wochen 5 verschiedene internationale Anlässe telemedizinisch unterstützen dürfen.

 

Nehmen wir als Beispiel einen Ärzte-Kongress zu einem spezifischen Thema aus der laparoskopischen Chirurgie, zu dem ein Fachspezialist als Referent eingeladen wird, um seine neue Operationsart vorzustellen, die er für eine bestimmte Erkrankung entwickelt hat. Der Chirurg wird anhand einer Videoaufzeichnung eines solchen Eingriffs ein Referat halten und anschliessend Fragen seiner Kollegen beantworten. Dafür muss er mit An- und Rückreise relativ viel Zeit aufwenden, die er eigentlich gar nicht hat. Die Mittel der Telemedizin lösen sowohl das Problem der Veranstalter als auch das Zeitproblem des Fachspezialisten. Er kann seine Einführung in die Thematik halten, die entsprechende Operation durchführen und auf Fragen der Kongressteilnehmer antworten - alles aus dem Operationssaal und alles "an einem Stück" mit einem Minimum an Zeitaufwand.

Es gibt auch immer wieder Fälle, in denen der Chirurg während der Operation gerne die Zweitmeinung eines anderen Spezialisten einholen möchte. Mit der Telemedizin ist das auch möglich, wenn der betreffende Kollege weit entfernt, ja sogar auf einem anderen Kontinent zuhause ist. Er verfolgt bei sich in der Klinik auf dem Bildschirm den Operationsverlauf und der operierende Arzt kann jederzeit mit ihm Rücksprache halten. Auch externe Spezialisten können auf diese Weise für eine Operation beratend zugezogen werden.

 

Mittelpunkt

Die Klinik Im Park hat aus eigenen Mitteln in die Telemedizin investiert. Weshalb?

Dr. Kukleta

Zu solchem Entscheid braucht es mindestens zwei Elemente: eine fortschrittsorientierte treibende Kraft und einen aufgeschlossenen , modern denkenden und qualitätsbewussten Partner – das Spitalmanegment von morgen.
Als privates Spital möchte die Klinik ihren Beitrag an die Aus- und Weiterbildung leisten und den Erfahrungsaustausch unter den Ärzten fördern. Die Möglichkeit fachliche Unterstützung „weltweit" einzuholen bietet den Patienten einen Dienst von besonderer Qualität.
Über die Telemedizin ist das nun möglich geworden. Andere Privatkliniken, aber auch öffentliche Spitäler sind diesem Beispiel bereits gefolgt oder werden es über kurz oder lang noch tun.

 

Mittelpunkt

Wie aufwendig ist die technische Infrastruktur für die Telemedizin?

Dr. Kukleta

Es ist viel einfacher, als man glauben könnte. Für die Telemedizin braucht es 3 bis 4 ISDN Anschlüsse im OP-Saal, einen Fernseher, eine fernbediente Kamera und einen s.g. Codec. Ein Codec verarbeitet die lokalen Daten (Video und Audiosignale) , macht sie transportfähig für die Telefonlinien und enschlüsselt sie am entfernten Ort zurück in die sichtbaren und hörbaren Informationen.
Natürlich ist das Ganze schon ein wenig komplexer, aber die Einrichtungen für die Telemedizin sind weder überaus aufwendig noch besonders teuer. Die Anlage kann in der Klinik im Park von allen Pflegern mit einer fernsehenähnlichen Fernbedienung gesteuert werden, die entfernten Kommunikationspartner können unsere Videoquellen auswählen oder die externen Kameras auf Distanz selber bedienen.

 

Mittelpunkt

Sie selbst haben sich international für die Telemedizin engagiert. Nicht zuletzt deshalb sind Sie für eine telemedizinische Übertragung an der Weltausstellung in Hannover angefragt worden. Das Projekt steht unter dem Patronat von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Worum geht es dabei genau?

Dr. Kukleta

Am Rande der Weltausstellung in Hanover findet in Okt.2000 ein Weltkongress über High-Tech Medizin statt. Die Protagonisten der modernen deutschen Chirurgie, Prof. H.-P. Bruch und Prof. F. Köckerling, laden die „Welt" zur Teilnahme am technologischen Fortschritt der heutigen Chirurgie und gegenseitiger Wissensvermittlung ein. Zahlreiche Experten werden dank der telemedizinischen Möglichkeiten rund um die Uhr ihre Erfahrung zur Verfügung stellen können. Wir, das „laparoskopie.ch" – Team der Klinik im Park Zürich (www.laparoskopie.ch), sind natürlich sehr motiviert underen Beitrag leisten zu dürfen . Das „E" (e-mail, e-commerce, etc.) bedeutet jedoch für uns nicht nur ein Ereignis, sondern eine Entwicklung. ( der nächste telemedizinische Beitrag geht im November nach Napoli zum Internationalen Kongress über Robotik, virtuelle Realität, etc.).

 

Mittelpunkt

Trotz den vielen und überzeugenden Möglichkeiten, die sie bietet, setzt sich die Telemedizin bis heute nur langsam durch. Woran liegt das, und wie sehen Sie die Zukunft der Telemedizin?

Dr. Kukleta

Es ist leider viel bequemer den Fortschritt zu konsumieren anstatt es mitzugestalten oder mitzuentwickeln. Aber die Telemedizin wird sich zweifellos durchsetzen. Wahrscheinlich ist es der Respekt vor Technologie und vermeintlichen Kosten. Es ist jedoch nicht komplizierter als ein Fernsehen und die Betriebskosten sind ca 4-6 x höher als ein normales Telefongespräch. Die Möglichkeiten und Vorteile sind allerdings noch nicht überall im vollen Umfang erkannt worden. Doch erkennen immer mehr Ärzte, dass die modernen Medien (Internet, Telemedizin, etc.) keine Effekthascherei ist, sondern ihnen rasch und einfach helfen kann, ihren Wissensstand à jour zu halten, Erfahrungen und Erkenntnisse weltweit auszutauschen und damit ihr eigenes Können laufend zu verbessern. Wenn dieses grosse Potential, das in der Telemedizin steckt, entsprechend genutzt wird, so wird dies letztlich jedem einzelnen Patienten zugute kommen.